Gemeinde unmittelbar von Zwangsräumung bedroht
Die Bewohner Innen von Restinga im Stadtteil Recreio dos Bandeirantes in Rio de Janeiro sind wegen des Baus einer Schnellstrasse unmittelbar von Zwangsräumung bedroht. Am 22. Oktober um 9.00 Uhr begannen Mitarbeiter Innen der Gemeindebehörde mit Hilfe schwer bewaffneter Zivil- und Militärpolizei damit, ein über 20 Jahre altes Geschäftsviertel mit Bulldozern abreissen zu lassen. Dabei wurden fünf Geschäfte zerstört. Zuvor waren die Bewohner Innen monatelang bedroht worden.
Die Gemeinde war nicht über dieses Vorhaben in Kenntnis gesetzt worden, an dem über 100 bundesstaatliche Beamt Innen beteiligt waren, darunter auch schwer bewaffnete Polizist Innen. Als die Bewohner Innen die Beamt Innen aufforderten, die gerichtliche Anordnung für den Abriss vorzulegen, wurde ihnen gesagt, dass dies nicht nötig sei und dass sie sich „ruhig verhalten“ und „nicht einmischen“ sollten. Auf die Forderungen der Anwohner Innen, sich auszuweisen, reagierten die Beamt Innen mit der Drohung, sie festzunehmen.
Die Gemeindemitarbeiter Innen sagten den Anwohner Innen, dass sie spätestens am 5. November zurückkommen und Häuser abreissen würden. Sollten sich die Bewohner Innen dagegen wehren, so würden sie Gewalt anwenden und ihre Habseligkeiten konfiszieren. Ein Bewohner sagte gegenüber Amnesty International, dass sein Geschäft am 22. Oktober ohne vorherige Ankündigung zerstört wurde und er gezwungen war, ein notdürftiges kleines Lager für seine Ware und Ausrüstung zu zimmern. Drei Tage später kamen die Beamt Innen zurück, rissen das Lager ab und nahmen seine Ware mit.
Seit der Ankündigung des Bauvorhabens der Schnellstrasse Transoeste und der Benennung der betroffenen Gemeinden, unter denen sich auch Restinga befindet, haben Bewohner Innen der Gemeinde, die 153 Familien umfasst und vor über 50 Jahren gegründet wurde, weder eine Benachrichtigung über die Pläne noch die Möglichkeit zum Gespräch mit städtischen Beamt Innen erhalten. Anwohner Innen sagten gegenüber Amnesty International, dass am 22. Juli 2010 schon einmal versucht wurde, eine Zwangsräumung durchzuführen. Damals tauchten Gemeindemitarbeiter Innen unangemeldet auf und sprühten „SMH“ (Secretaria Municipal de Habitação – Amt für Wohnungsangelegenheiten) auf die zum Abriss bestimmten Häuser. Die Beamt Innen teilten ihnen mit, dass ihre Häuser in fünf Tagen abgerissen würden und versuchten, die Bewohner Innen zum Unterzeichnen von Dokumenten zu zwingen, die sie jedoch nicht lesen durften. Als Entschädigung wurden ihnen Wohnungen in 30 Kilometer entfernten Wohngebieten angeboten. Erst nach Einschalten von Anwält Innen der Defensoria Pública (Pflichtverteidigung) konnte die rechtswidrige Zwangsräumung abgewendet werden.
Hintergrundinformationen
In Rio de Janeiro werden derzeit im grossen Stil Infrastrukturarbeiten durchgeführt, um sich auf die Ausrichtung der Fussball-Weltmeisterschaft 2014 sowie der Olympischen Spiele 2016 vorzubereiten. So sind beispielsweise drei Verkehrskorridore für Express-Busverbindungen geplant: die TransOlímpica, TransOeste und TransCarioca. Viele Gemeinden entlang der geplanten Routen sind nun von Zwangsräumung bedroht. Laut Angaben des Pflichtverteidigungsbüros von Rio de Janeiro haben die Behörden in vielen Fällen rechtswidrig gehandelt, indem sie den betroffenen Gemeinden grundlegende Informationen vorenthalten, kein Mitspracherecht eingeräumt bzw. keine Alternativen zur Räumung vorgestellt und keine angemessene alternative Unterbringung angeboten haben.
Viele Anwohner Innen berichteten Amnesty International, dass die Behörden Druck auf sie ausüben, damit sie ihre Häuser verlassen. Ausserdem sei die Höhe der Entschädigung nicht ausreichend, um ein vergleichbares Haus in ihrer Gegend zu erwerben. Die einzige Alternative seien kleine Wohnungen in 30-40 Kilometer entfernten Wohnvierteln, viele davon in Campo Grande, einem Stadtteil im Westen Rio de Janeiros, der derzeit von mafiaartig operierenden parapolizeilichen Banden dominiert wird und für eine Umsiedlung unangemessen ist.
Im Oktober 2010 stattete Amnesty International Restinga einen Besuch ab. Damals händigten Anwohner Innen Amnesty eine Stellungnahme aus, in der stand: „Wir leiden unter ständigem Druck, wir leben in Angst, können nicht mehr ruhig schlafen und befürchten, dass wir ohne Rücksicht auf unsere verfassungsmässigen Rechte gezwungen werden, unsere Häuser zu räumen… Wir wissen nicht, wohin; viele von uns sind alt, pensioniert, haben keine Familie; andere haben Kinder und Enkelkinder, die hier in der Gegend studieren und arbeiten… Die städtischen Behörden möchten, dass wir unsere Häuser, Geschäfte und unser Sozialleben aufgeben und in eine weit entfernte, winzige Wohnung ziehen… Wir verlangen, dass sich die Behörden an das Gesetz halten…und wir eine gerechte Entschädigung erhalten. Wir möchten weiterhin in unserem Viertel wohnen, das wir unser Zuhause nennen.“