Aids-Aktivist in Gefahr
Der HIV/AIDS-Aktivist Tian Xi stand am 21. September in der chinesischen Provinz Henan vor Gericht. Das Urteil wurde am 15. November erwartet, doch stattdessen wurde sein Verfahren auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Tian Xi befindet sich weiterhin in Haft und ist in Gefahr, misshandelt zu werden. Die dürftige Ernährung in der Haft und der unsichere Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten gefährden sein Leben.
Die Verhandlung von Tian Xi begann am 21. September 2010 vor dem Volksgericht von Xincai und dauerte dreieinhalb Stunden. Er erschien blass und geschwächt vor Gericht. Statt eines Urteils erhielt der Anwalt von Tian Xi, Liang Xiaojun, am 16. November eine Mitteilung, dass das Verfahren gemäss Artikel 181 der Auslegungen des Obersten Volksgerichtshofes von Durchführungsrichtlinien der Strafprozessordnung von 1998 unterbrochen worden sei.
Dieser Artikel gestattet die Aussetzung eines Verfahrens, falls der Angeklagte oder der Kläger schwer erkrankt oder andere unkontrollierbare Ereignisse die Fortsetzung des Prozesses unmöglich machen. Das Gericht hat die Gründe für die Unterbrechung des Verfahrens noch nicht näher ausgeführt. Im chinesischen Recht ist nicht eindeutig festgelegt, ob ein Straftatverdächtiger in einem unterbrochenen Verfahren gegen Kaution freigelassen werden sollte. Darüber hinaus definieren die Auslegungen des OVG von 1998 keine Frist für die Unterbrechung und nehmen sie von den Regelfristen für Verfahren aus. Der Angeklagte kann auch nicht gegen die Entscheidung einer Unterbrechung des Verfahrens Rechtsmittel einlegen, sondern er muss warten, bis das Gericht entscheidet fortzufahren. Dies ist eine Gesetzeslücke, von welcher der Anwalt von Tian Xi sagt, sie halte seinen Mandanten in der Haft „in der Schwebe, auf ein Urteil wartend, das vielleicht niemals kommen wird“.
Als ihn sein Anwalt vor kurzem besuchte, wirkte Tian Xi geschwächt, aber hoffnungsvoll. Die Gefangenen erhalten nur ein Mal pro Monat Fleisch und Gemüse. Vorerst ist Tian Xi auf seinen eigenen Vorrat an Medikamenten angewiesen.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Tian Xi wurde am 17. August in der chinesischen Provinz Henan festgenommen. Mit dieser Massnahme wollten die Behörden den Mann davon abhalten, sich bei ihnen weiterhin zugunsten von Menschen einzusetzen, die sich infolge medizinischer Fehler der Behörden mit dem HI-Virus infiziert haben oder an AIDS erkrankt sind. Tian Xi hat sich 1996 im Alter von neun Jahren durch eine Bluttransfusion mit dem HI-Virus und überdies mit Hepatitis B und C infiziert.
Aus internen Regierungsdokumenten, die örtliche AktivistInnen ausfindig gemacht haben, ist ersichtlich, dass die Polizei Anfang März beschlossen hatte, Tian Xi festzunehmen. Mit dieser Massnahme wollte sie unterbinden, dass er sich bei dem Krankenhaus, in dem er sich mit HIV infiziert hatte, Entschädigungsleistungen für sich selbst und zugunsten von Menschen einfordert, die durch Bluttransfusionen in staatlichen Kliniken ebenfalls mit HIV/AIDS infiziert worden sind.
Am 23. August erging gegen ihn Anklage wegen „vorsätzlicher Sachbeschädigung“. Die Anklage steht in Zusammenhang mit seinem Besuch des Krankenhauses, in dem seine Bluttransfusion vorgenommen worden war. Er wollte dort über Entschädigungsleistungen verhandeln. Im Büro des Leiters der Klinik hatte er am 2. August vom Schreibtisch Tassen und andere Gegenstände gegriffen und zu Boden geworfen. Der Leiter hatte sich geweigert, zu den Sorgen von Tian Xi Stellung zu nehmen und ihn zurückgestossen.
Während seines Verfahrens am 21. September war Tian Xi sehr aufgewühlt, als er seine Aussagen machte. Er sagte: „Ich wusste, was die Konsequenzen meines Handelns sein würden, aber wegen der armen Opfer von HIV/AIDS wusste ich auch, dass ich diese Konsequenzen auf mich nehmen musste. Ich bin ein junger Mensch, der mit HIV/AIDS lebt, ich möchte nicht mein ganzes Leben lang umsonst kämpfen.“
Die Eltern von Tian Xi waren bei dem Prozess anwesend. Seine Mutter trug weisse Kleidung – die Farbe der Trauer in China, die meist bei Beerdigungen getragen wird – als Zeichen des Protests gegen das Verfahren. Nach Ende der Anhörung wurde sie von der Polizei aus dem Gerichtssaal geleitet. Im Polizeiwagen erlitt sie jedoch einen Herzinfarkt und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Nach einer Ruhepause konnte sie die Klinik wieder verlassen.
PolizistInnen in Zivil nahmen einem anderen Aktivisten und unabhängigen Filmemacher die Kamera ab, mit der er Demonstrierende und die Polizei vor dem Gerichtsgebäude gefilmt hatte. Ein Rechtsexperte, der das Verfahren beobachten wollte, wurde vor dem Gerichtsgebäude geschlagen.