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FI 154/10-3
USA
Abgeschlossen am 25. Oktober 2010

Omar Khadr-Prozess verschoben nachdem Anwalt zusammenbrach

AI-Index: AMR 004/003/2010

Am 12. August wurde Omar Khadrs Verfahren vor einer Militärkommission bis zum 25. Oktober verschoben, nachdem sein Militäranwalt im Gerichtssaal zusammengebrochen war. Amnesty International ist der Ansicht, dass diese Verzögerung den US-Behörden einen Anlass dazu bietet, das Verfahren endgültig einzustellen.

Omar Khadrs Militärverfahren begann am 12. August, wurde allerdings noch am selben Tag abrupt unterbrochen, da der Militäranwalt des Angeklagten, Oberstleutnant Jon Jackson, beim Verhören eines Zeugen in Ohnmacht fiel. Nachwirkungen einer kürzlich vorgenommenen Operation sollen für diesen Schwächeanfall verantwortlich gewesen sein. Später wurde der Anwalt zur Behandlung auf das US-amerikanische Festland gebracht und befindet sich derzeit im „Genesungsurlaub“.

Am 9. August waren die Anhörungen im Vorfeld des Verfahrens abgeschlossen worden. Dabei hatte der Militärrichter Oberst Patrick Parrish sich in fast allen Punkten gegen die Verteidigung ausgesprochen. Am 8. August hatte Oberst Patrick Parrish binnen nur ungefähr 90 Sekunden entschieden, dass die Strafverfolgungsbehörde alle von Omar Khadr in US-Militärgewahrsam gemachten Aussagen als Beweise gegen den Angeklagten heranziehen dürfe. Zuvor hatte die Verteidigung die gerichtliche Verwendung solcher Aussagen für unzulässig erklärt, da sie durch Folter oder Misshandlung zustande gekommen waren. Die Zulassung von Beweismitteln, die unter Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung entstanden sind, verstösst gegen die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen der USA, die z.B. in der UN-Antifolterkonvention sowie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte festgehalten sind.

Am 10. und 11. August wurden sieben US-Militärangehörige zu „Geschworenen“ für Omar Khadrs Prozess berufen. Nachdem der Prozess verschoben wurde, schickte man sie – mit der Weisung, die Medienberichterstattung über das Verfahren nicht zu verfolgen – in ihre Stützpunkte zurück. Bislang ist unklar, ob und wann das Verfahren fortgesetzt wird und ob in diesem Fall neue Geschworene berufen werden.

Amnesty International war bei der Verhandlung vergangene Woche durch einen Beobachter vertreten. Die Menschenrechtsorganisation fordert die Abschaffung der Militärverfahren für Guantánamo-Häftlinge, da diese internationalen Standards für ein faires Gerichtsverfahren nicht entsprechen. Im Gegensatz zu zivilen US-Gerichten missachten diese Kommissionen den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit, den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz und den Anspruch auf gleichen Schutz vor dem Gesetz.

 

Hintergrundinformationen

Omar Khadr wurde im Alter von 15 Jahren nach einem Feuergefecht am 27. Juli 2002, in dem ein amerikanischer Soldat getötet wurde, in einem Lager in Afghanistan in US-Militärgewahrsam genommen. Während der Luft- und Bodenoffensive der US-Truppen erlitt er schwere Verletzungen: Zweimal schoss man ihm in den Rücken, und er erblindete auf einem Auge. Drei Monate lang hielt man ihn auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram fest, wo er eigenen Angaben zufolge während der Verhöre unter anderem seine Wunden zeigen musste und bedroht wurde. Omar Khadr gab ferner an, die Militärangehörigen hätten ihm häufig eine Kapuze über den Kopf gestülpt und bellende Hunde auf ihn gehetzt. Auch im Lager Guantánamo, in das er kurz nach seinem 16. Geburtstag eingeliefert wurde, soll Omar Khadr demütigenden Verhörpraktiken ausgesetzt gewesen sein. Dort musste er 2004 über einen Zeitraum von drei Wochen eine spezielle Schlafentzugspraxis, frequent flyer program genannt, über sich ergehen lassen, bei der Gefangene alle paar Stunden, sowohl tagsüber als auch nachts, in eine andere Zelle verlegt werden. Omar Khadr gab ausserdem an, die für die Vernehmung zuständigen Personen hätten ihn in schmerzhaften Positionen gefesselt, ihm gedroht, ihn zur Folterung nach Ägypten oder Syrien zu schicken und ihn als „menschlichen Wischmob“ benutzt, nachdem er während eines Verhörs auf den Boden uriniert hatte.
Anstatt als Minderjähriger angesehen und entsprechend behandelt zu werden, wie es das Völkerrecht vorschreibt, wurde Omar Khadr als „feindlicher Kämpfer“ eingestuft, und man verweigerte ihm, die Rechtmässigkeit seiner Haft anzufechten. Erst im November 2004 – über zwei Jahre nach seiner Festnahme – durfte er mit einem Anwalt sprechen. Amnesty International ist der Ansicht, dass kein Minderjähriger nach Guantánamo hätte gebracht werden dürfen, und dass Guantánamo-Häftlinge grundsätzlich – von einem Gefangenen, der zum Zeitpunkt der mutmasslichen Tat ein Kind war, ganz zu schweigen – nicht vor Militärkommissionen gestellt werden sollten.
Omar Khadr war 2005 zum ersten Mal für ein Verfahren vor einer Militärkommission vorgesehen worden. Das von Präsident George W. Bush eingerichtete System der Militärkommissionen wurde jedoch 2006 vom Obersten US-Bundesgericht (US Supreme Court) für verfassungswidrig erklärt. Ersetzt wurde es durch ein ähnliches System auf Grundlage des Military Commissions Act (MCA) von 2006. Die gegenwärtige Anklage bezieht sich auf eine abgeänderte Version des MCA von 2006, die Präsident Barack Obama im Oktober 2009 unterzeichnet hat. Im Falle eines Schuldspruchs droht Omar Khadr eine lebenslange Haftstrafe. Selbst wenn er freigesprochen wird, könnte er wieder in unbegrenzten Militärgewahrsam genommen werden (siehe: http://www.amnesty.org/en/library/info/AMR51/036/2010/en).
Der UN-Ausschuss über die Rechte des Kindes hat bei seiner Prüfung der Einhaltung des Fakultativprotokolls „Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten“ der UN-Kinderrechtskonvention die USA aufgefordert, keiner Person vor einem Militärgericht den Prozess zu machen, die als Kind in einem bewaffneten Konflikt inhaftiert wurde. Am 26. Mai 2010 forderte UNICEF ein Ende des Militärverfahrens gegen Omar Khadr. Der Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretär für Kinder in bewaffneten Konflikten warnte die USA davor, mit der Fortsetzung von Omar Khadrs Militärverfahren einen gefährlichen Präzedenzfall zu schaffen und forderte die Behörden in der USA und in Kanada auf, gemeinsam eine geeignetere Lösung zu finden.
Im Januar ordnete der Oberste Gerichtshof in Kanada an, dass Omar Khadr von der kanadischen Regierung entschädigt werden müsse. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war, dass sich kanadische BeamtInnen an den Verhören in Guantánamo beteiligt hatten, obwohl sie wussten, dass er während seiner unrechtmässigen Haft eine menschenunwürdige Behandlung erfahren hatte. Die auf diese Weise gewonnenen Aussagen wurden an die US-Behörden weitergegeben und trugen somit zur Verlängerung der unrechtmässigen Haft bei. Trotz dieser Ankündigung hat Kanada bislang jedoch lediglich die Zusicherung der US-Regierung verlangt, dass Aussagen oder Beweismaterial, das durch kanadische BeamtInnen zustande kam, weder in der Militärkommission noch in anderen Verfahren verwendet würde. Die US-Regierung hat dies nicht zugesichert.

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